Arbeiten am Institut für Elementares Formen der TU Braunschweig
bei Prof. Weber 1991-1995



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Vase, einfache nach oben gerichtete Schwellform





Rosettenvase, gegeneionander gerichtete Schwell-Richtungen





Kopf als Schwellformen-Zusammenspiel





Entwurfsmodell





Torso





Arbeitsmodelle zum Aktzeichnen




Arbeitsmodelle zum Aktzeichnen



Arbeitsmodelle zum Aktzeichnen



Arbeitsmodelle zum Aktzeichnen




Arbeitsmodelle zum Aktzeichnen
    

Während meines Architekturstudiums an der TU Braunschweig besuchte ich die obligatorischen und die Wahlfächer beim Institut für Elementares Formen bei Prof. J. Weber und seinen Assistenten Andreas Krämmer (Bildhauer, macht sehr schöne Skulpturen), Magnus Kleine-Tebbe (Bildhauer, in Braunschweig durch einige Plastiken bekannt) und und Carl Constantin Weber (Prof. Webers Sohn, 1992 - 97 Assistent in BS, jetzt Professor für Gestaltung in Dessau)


Freitag mittags hielt Prof. Weber seine jeweils 45-minütige Vorlesung (bei der auch immer alle Assistenten anwesend waren). Der Stoff ist größtenteils in seinem Buch „Gestalt, Bewegung, Farbe“ enthalten. Es geht um die Vorgänge des Wahrnehmens. Aufgebaut ist seine Theorie auf den Thesen von Rudolf Arnheim und der Gestaltpsychologie. Darüber schwebt die These, dass anschauliches Denken etwas anderes, fundamentaleres ist als z.B. sprachliches Denken (bzw. liegt großes Potenzial in deren Verknüpfung, siehe Gedächnistrainigs-Methode, zu merkende Gegenstände gedanklich in einem bekannten Raum anzuordnen). In der modernen Welt verkümmert das anschauliche Denken zunehmend. Weber führte eigene Forschungen zu diesem Thema durch und stellte fest, dass das Repertoire an Gestalten, die eine/r seiner Studis aus dem Gedächnis aufmalen kann, durchschnittlich dem entspricht, was früher schon Kinder konnten. (Das war lange vor der dramatischen Reduzierung der Sinneseindrücke auf Bildschirmrezeption ...). Zum Beispiel ließ er diese Aufgabe zu statistischen Zwecken bearbeiten: „Zeichne einen Tannenbaum (aus dem Gedächnis)“. Macht mal!

Hier ---- der Kommentar: Eine Tanne ist ein Lebewesen, sie wächst, es drücken sich außerdem Kräfte der Schwerkraft in ihr aus. Ganz oben sind die Zweige also nach oben gerichtet. Die Zweige selbst sind mit einer gradientenhaften Biegung gespannt, je weiter außen desto mehr Biegekraft aber weniger Gewicht durch Nadeln. Im ganz unteren Bereich hängen die Zweige wegen Gewicht und Alter mehr nach unten. (Neulich sahn ich in einer Ausstellung ein großflächig-spontan gemaltes Landschaftsgemälde auf dem die Tannen, die es offensichtlich sein sollten, eher Hochspannungsmasten glichen, also keinerlei Lebenszeichen auswiesen. Tut mir leid, bei solch einer Gelegenheit zeigt sich Haltung und Bildung des Autors. Jemand der schon einmal eine Tanne nach der Natur gezeichnet hat UND die Grundformen von Wachstum verstanden hat, zeichnet auch mit wenigen Strichen einen Baum gekonnt, jemand, der sich auf die Großartigkeit seiner Spontanität verlässt, kann auch nur aus seinem inneren Repertoire schöpfen und zeigt dann eben dessen Dürftigkeit).


Die Aufgaben waren

- im Grundsemester: Zur Entwicklung des anschaulichen Denkens wurden Schwellformen aus Ton getöpfert, und zwar nach strengen Vorgaben.

Aufgabe 1: Ein regelmäßiger gerader Zylinder wurde getöpfert und dann im oberen oder unteren Bereich leicht ("gradientenhaft", ebenfalls gleichmäßig) ausgebeult. Die Vorstellung dazu war entweder Wasser, was den Körper innen belastet oder eine knospende, nach oben schwellende Kraft.

Aufgabe 2: Darauf aufbauend wurde eine Vase getöpfert, die eine regelmäßige nach oben oder unten gerichtete Schwellung haben sollte.

Aufgabe 3: Eine Vase mit mehreren auseinander hervorgehenden oder gegeneinander gerichteten Schwellungen.

Aufgabe 4: Wahlweise ein Tier, ein Torso, oder ein Kopf, nicht naturalistisch sondern als komplexe Schwellform aufgefasst.

In dem recht romantisch im Querumer Wald gelegenen Institut, wo ca. 100 Studierende auf relativ engem Raum arbeiteten, lagen meine Nerven anfangs ziemlich blank, weil ich mir die Aufgabe durchaus einfacher vorgestellt hatte. Der Ton wollte sachgerecht verarbeitet werden, schaffte ich an einer Seite des Gefäßes die geforderte "gespannte Krümmung", war auf der anderen Seite wieder eine Delle drin ... Ich verstand, was mir andere Studis erzählt hatten, es hatte einige gegeben, die ihr Studium abgebrochen hatten, weil sie mit den Schwellformen überhaupt nicht klar kamen. Das Töpfern war auch mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden.

Bei Aufgabe 3 gab ich mir noch mehr Mühe und hatte dann auch Erfolgserlebnisse. Als Prof. Weber und der mich betreuende Assistent A. Krämmer meine Motivation sahen halfen sie mir tatkräftig bei der Umsetzung meines etwas ehrgeizigen Rosetten-Vasen-Entwurfs (was irgendwie ein erotisch sich entwickelndes Pentagramm sein sollte). Wieder gab es einige Krümmungen, die partout nicht gradientenhaft gespannt werden wollten, sondern Eierpflaumen blieben. Prof. Weber, der sich mit seiner autoritären Persönlichkeit durchaus nicht nur Freunde unter den Studis machte (wie auch an der Uni und in der Stadt), war plötzlich richtig freundlich und griff zum großen Messer. Er schnitt ein großes Stück aus meiner Vasenwand heraus und - es passte!

Für Aufgabe 4 wollte ich eigentlich eine hochkomplizierte Umarmungs-Doppelfigur machen, es wurde dann aber ein Kopf. Es wurde Wert darauf gelegt, dass er nicht Porträtcharakter haben sollte, sondern soweit möglich aus konvexen Formen bestehen sollte (konvex = nach außen anschwellend, knospenhaft, Ausdruck einer inneren Kraft, konkav = nach innen gewölbt (Eselsbrücke: Kaffee rein füllen!), Ausdruck einer von außen wirkenden Kraft oder eines Sogs von innen). Auch bei dem Kopf hat Andreas Krämmer mich sehr unterstützt und einige Details geformt, die ich selbst nicht hinbekommen habe.

Ein Jahr später bat ich darum, noch einen Torso machen zu dürfen, durfte ich und erhielt wieder lehrreiche Unterstützung von den Assistenten.


In der Oberstufe gab es den Kurs „Proportionen“, die Aufgaben waren, soweit ich mich erinnere (ich habe den Kurs leider nicht beendet)

- ein Relief aus Ton mit sich wellenähnlich gegeneinander entwickelnden kleinen rasterförmig angeordneten Kubenleisten,

- mehrere Komposition aus verschieden großen Kuben zum Studium des Prinzips von dreidimensionaler Verdichtung und Lockerung


Nach dem Vordiplom konnte man (wenn man eine gute Bewerbungsmappe hatte) am Aktzeichnen teilnehmen. Dabei wurde wieder nach strengen Vorgaben Prof. Webers im ersten halben Jahr der menschliche Körper als aus Kuben aufgebaut betrachtet und auch nur kubisch gezeichnet, um die Perspektive zu verstehen und die Prinzipien von Tragen und Lasten zu verinnerlichen. Studiert wurden z.B. das Formenspiel der verschiedenen Richtungen von Brustkorb und Becken in der klassischen Standbein-Spielbein Position. Es wurden auf Kubenformen aufbauend Figuren aus Ton gebaut, erst eine Standbein-Spielbein-Figur, dann Hände, Kopf, Fuß und Knie, wobei Moskeln und Knochen aus unterschiedlich farbigem Ton gefertift wurden.

Im zweiten Aktzeichnen-Semester durfte dann endlich nach Augenschein gezeichnet werden. Es wurde Wert darauf gelegt, dass die Figur nicht mit Umrandungen eingeschnürt wird, sondern dass die beschreibenden Linien den Hauptvolumen folgen. Ich hätte mir noch etwas Anatomieunterricht gewünscht, das war aber ausdrücklich nicht gewollt. So stand ich manchmal etwas dumm, wenn Weber oder die Assistenten mit ihrem Bleistift meine Zeichnung korrigierten, „Ja, das müssen sie doch sehen, da ist der Rollhügel und da der Beckenknochen“. Dann habe ich mir doch irgendwann Anatomiebücher gekauft.


Als Aufbaukurs gab es dann noch die Möglichkeit, unter Anleitung von Carl Constantin Weber Tiere im Zoo und auf Weiden zu zeichnen. Das dumme ist ja: Die Viecher halten meistens nicht still. Man muss sehr schnell zeichnen und sich auf das Wesentliche konzentrieren. Merke: Immer an der Linie des Rückgrats orientieren.


Webers theoretischer Ansatz: Es gibt Gestalt-, Bewegungs- und Farbschemata, die im Schematagedächnis, in dem bekannte Formen in ihrer einfachsten Variante gespeichert werden. Einfache Formen sind aufsteigen und absinken. An verformten Gegenständen lässt sich deren Geschichte ablesen (Beispiel Sturmkiefer / „Windflüchter“).

Das Gesetz von der „Einfachen Gestalt“ von Max Wertheimer: Die Wahrnehmung ordnet in die jeweils einfachste Gestalt, Beispiel isometrisch gezeichneter Würfel bzw. Sechseck mit durchgezogenen Linien.

Eine Kugel ist die einfachste Form. Ein fallender Wassertropfen verformt sich durch die Schwerkraft zur typischen Tropfenform. Umgekehrt wird eine aufsteigende, knospende Kraft ablesbar. Bewegungsprinzipien lassen sich demzufolge an vielen Formen in Handwerk und Kultur ablesen und wurden seit Menschengedenken bewusst eingesetzt. Beispiele: Griechische Vasen, Rosettenformen in der Architektur, die Säulen griechischer Tempel - welche nämlich nicht gerade sind und auch nicht gerade von unten nach oben schmaler werden sondern einem gespannten Muskel gleich gekrümmt sind. Auch andere Details der Tempel sind hochkomplex komponiert. Gespannte gerichtete Krümmungen gibt es viele in der Architektur, von den Kuppeln vom Dom in Florenz und dem Petersdom über die Hagia Sophia bis zum Dach des Olympiastadions in München. Wen es interessiert sollte das Buch „Gestalt, Bewegung, Farbe“ lesen oder auch „Wahrnehmen und Falschnehmen“ von Axel Seyler von Anabas.


Insgesamt habe ich am Institut für Elementares Formen viel gelernt und bin Prof. Weber und seinen Assistenten sehr dankbar. Für manch einen aus der Kunstszene ist er eher ein NoNo, Professoren und Assistenten anderer TU-Institute ignorierten ihn auch konsequent.


Prof. Weber ist in Braunschweig mit einigen Skulpturen präsent (um deren Aufstellung es auch regelmäßig große Debatten und Streit gab), am bekanntesten sind der Ringer-Brunnen und die Christentums-Säule.

In den 70-er gehörte Prof. Weber zu den Gründern des BBK Braunschweig. Überregional ließ er keine Gelegenheit zum Streit über Themen der Kunst aus. Wegen seiner figürlichen Arbeitsweise wurde er immer wieder von Kunstkritikern angegriffen. Insbesondere führte er quasi einen Kriege gegen die Macht einiger Kunstideologen.

Prof. Weber starb 2007 direkt nach dem Baden auf Ibiza. Etliche Jahre vorher hatte er ein Messerattentat eines Hiwis in seinem Institut schwer verletzt überlebt.


Literatur:

Jürgen Weber: Gestalt Bewegung Farbe Kunst und anschauliches Denken (Braunschweig, Westermann, 1975)

Jürgen Weber: Das Urteil des Auges: Metamorphosen der Geometrie - eine der Grundlagen von Erkennen und Bewusstsein (2002)

Jürgen Weber: Das Narrenschiff (1994)

Rudolf Arnheim : Kunst und Sehen. Eine Psychologie des schöpferischen Auges

Axel Seyler von Anabas: Wahrnehmen und Falschnehmen: Praxis der Gestaltpsychologie. Formkriterien für Architekten, Designer und Kunstpädagogen... (2003)

Nachruf in der Braunschweiger Zeitung: http://www.braunschweiger-zeitung.de/kultur/die-menschliche-komoedie-in-voller-wucht-id520415.html