Texte - Reportagen - Kurzgeschichten


unveröffentlicht

Berlin 1981

geschrieben 1/2001


Vielleicht ist es die Kälte, die mich häufig im Januar an jenen Winter 1980/81 erinnert, als ich unbedingt Berliner Hausbesetzerin und überhaupt Rundum-Revolutionärin werden wollte. Denn in Berlin war es damals auch meistens und überall bitterkalt. Und dunkel. Dafür gab es viele große, mehr oder weniger leere, kahle Räume mit einer Mischung aus Ruinen- und Baustellen-Charme. Befreite Gebiete, gesichert mit phantasievollen Befestigungen gegen die Staatsmacht und andere Übeltäter. Bremen, Hannover und dann der 12.12.80 hatten der Bewegung enormen Aufschwung beschert, Punk-Rock war noch authentisch, 'Jugend80' Hannover, kämpfend-subversiv gelebter Antagonismus zum Staat, so sah ich das mit Begeisterung.
Ein Sieg gegen das 'Schweinesystem'! Man kann nämlich doch was erreichen ...
Weihnachten 1980: Punk-Konzert von Klischee und andern im KZ36, Waldemarstraße Hinterhof, düstere Fabriketage mit unverputzten Wänden. Ich schlief bei Künstlerfreund Oli und ging tags darauf an den Orten der Kämpfe spazieren. Fraenkelufer, hier waren vor kurzem drei Häuser nach Räumung quasi zurückerobert worden, seitdem war die Zahl der besetzten Häuser in Berlin auf über 150 gestiegen, der Senat war durch diverse Bauskandale in arge Bedrängnis geraten, eine Art politisches Vakuum war entstanden. Pflastersteine und Barrikadenreste lagen noch herum.
Vor einem der Häuser waren einige der Besetzer dabei, einen Sperrmüllhaufen aufzutürmen, friedliche Entrümpelung. Klein-Uta war damals 24, stand eine Weile staunend daneben und lächelte den Jungs und Mädels zu, echte Häuserkämpfer.
Silvester, wieder in Braunschweig, wollte bei improvisierter Punkrock-Session in der Bambule nicht so recht Stimmung aufkommen. Mein Schlagzeug-Spiel gefiel den zumeist noch sehr hippie-geprägten Anarchos wohl nicht und meie Lieblings-Politpunks Ralf und Wolfram spielten lieber vor der Tür mit anderen Freaks Straßenkampf mit Chinaböllern. Ich muß wohl etwas ängstlich geguckt haben, als einer, den ich nicht kannte, zu mir sagte. "Hast du schon mal nen Molli in der Hand gehabt? Dann weißt du, daß du vor sowas keine Angst haben brauchst!" Erstaunlich, wie solche Sätze hängenbleiben. Erstens hatte ich trotzdem Angst und zweitens wäre ich froh gewesen, wenn ich mir wenigstens Steinewerfen zugetraut hätte. Aber bei meiner absoluten Unsportlichkeit sah es damit nicht gut aus.
Brucky, Bekannter noch aus älteren Kiffer-Tagen, der mir immer als der einige wirklkich freie Anarchist erschien, war vor allem ein liebenswerter und gleichzeitig schwieriger Mensch. Er mochte mich jedenfalls irgendwie, das verunsicherte mich manchmal, er war also eine Art Lehrer. Ungefähr so alt wie ich und seit Jahren am Rand der Punk und Politszene. Er lebte in einer Gartenhaus-Baracken-Siedlung am Braunschweiger Hafen, mit schönsten Hanfpflanzen auf dem Komposthaufen. Er kannte nicht nur die Hannoveraner Punkszene sondern auch, wie sich herausstellte, irgendwelche Leute in besetzten Häusern in Berlin. Er war wohl auch in Berlin gemeldet, um der Bundeswehr zu entgehen.
Mitte Januar 1981 trampten wir zusammen hin. Innerdeutsche Grenze, immer ne Stunde Warten einplanen, kannte ich schon. Avus, U-Bahn und dann endlich Kreuzberg 36. Dann standen wir wohl erst vor der düsteren Luckauer3, das Chaotenhaus schlechthin, aber Bruckys Freund war inzwischen umgezogen. Also noch ein Stück durch die Nach einer Weile öffnete sich im dritten Stock ein Fenster.
"Ist Udo da?" Der kam dann, großes Hallo und er warf uns den Schlüssel herunter. Irgenwie kamen wir gerade recht zu Abendessen, um einen schönen großen Tisch waren alle versammelt: Frido, Michael, Martin, Christioph und Ulrike, Udo und Marca, Peter, Ulli, Maria ...
Evelyn, die wohl gekocht hatte, tischte leckeren Auflauf aus. Zwei Gäste waren auch noch da. Ich war zugleich glücklich und verlegen ob des Eindringens in diese Familienidylle. Und offensichtlich organisierten alle irgendwas und alles war ungeheuer spannend: Besetzerplena, Piratenradio, Prozeßbesuche, Punkkonzerte.
Und schließlich die verschiedenen täglichen Dinge wie Holzhacken, Material organisieren, Bullenactions. Später saßen wir im einzigen richtig geheizten Raum des Hauses, dem Gemeinschaftsraum, unsd schliefen auf Matratzen im Zimmer von Udo und Marca, die sich von uns in ihrem Liebesleben nicht stören ließen. Am nächsten Tag kauften Brucky und ich bei Kaisers am Kotti ein, bzw. klauften, und kochten für alle. Brucky fuhr wohl nach zwei Tagen wieder heimwärts, ich wollte noch gar nicht weg und durfte noch ein paar Tage länger die Gastfreundschaft der Besetzer genießen.
Udo war ein rundum netter Mensch, Arztsohn aus Goslar, mit stilisiertem Punk-Zeichen auf der Jacke, ich verstand das damals nicht. Marca, Berliner Kind aus proletarischem Milieu, beide waren Urpunks ohne Attitüden und grundsolidarisch. So fühlte ich mich schon bald fast zuhause in den düsteren Staßen von K36. Rußgeschwärzte alte Fassaden endloser Häuserblocks, spärliche Straßenbeleuchtung im Schnee. Ganze Straßenzüge, die leerstanden, im Wind flatternde Baustellen-Abdeckplanen, riesige Kriegs-Baulücke auf der Rückseite der Fraenkel-Häuser, gestaffelte schneebedeckte Hinterhäuser, kalt und leer. Am Heinrichplatz Ruinen wie nach einem Bombenangriff, "Flächensanierung".
Und gleich daneben die Mauer und dahinter der nicht wirklich sozialistische Osten, Frontstadt Berlin. Nur ein paar Meter von der Mauer wentfernt auch das gerüchteweiseakut räumungsbedrohte Haus Luckauerstr.3, die radikalsten und berüchtigsten von allen, Raffis und Chaotenpunks, sehr interessant.
Ich fotogrfierte jedenfalls die Haustür, sehr düster und kultig mit 'Jugend80'-Graphitti und Solidaritäts - Transpas. Im Fraenkelufer freundete ich mich etwas mit einem Punkie an. Der war wohl auch einer von den Radikaleren. Ich verliebte mich irgendwie in ihn und fühlte mich wohl in seiner Nähe. Auch das war ein Grund, bald wiederzukommen.
Ich tauchte in den Kreuzberger Straßen herum wie in den Gedärmen eines sterbenden Drachen. Adrenalinsüchtig und euphorisch wie viele damals. Ich liebte die Besetzer, die Häuser, die morbiden Kulissen. Zum Beispiel das Treppenhaus im Fraenkelufer, die Haustüren von innen gesichert mit quergelegten Balken, so einfach würden die Bullen hier nicht reinkommen. Oder die von oben bis unten vollgekritzelte Punkerkneipe "Chaos", das selbstgebastelte Interieur im besetzten Kulturhaus "Kuckuck".
Im Haus Fraenkelufer große, kahle Räume, beleuchtet von einzelnen Glühbirnen, der Strom war natürlich geklaut. Geruch von Kohleöfen und knisterndem Holz. Eine Kochhexe in der Küche, das kannte ich noch von meiner Gartenbutzenzeit. Und ein Fünfliterboiler, ich trank literweise Salbeitee, und war erkältet und hatte Zahnschmerzen, die ich mit Nelkenöl zu kurieren versuchte. Das Leben war vergleichsweise geruhsam, nur selten Radio, Fernsehen nur, um die neueste Gruselpropaganda über die bösen Hausbesetzer zu genießen. Zeitweilig war Berlin wegen diverser Bauskandale quasi ohne Regierung, und die Besetzer hatten große Unterstützung in der Bevölkerung.
Kollektive Räume, natürlich hatte kaum jemand Geld, eine knappe Woche Berlin bestritt ich mit Fünfzig Mark, ab und zu wurde gemeinsam gekocht. ansonsten ernährte ich mich vom neu entdeckten türkischen Döner und mit schlechtem Gewissen gekauften Apfelkuchen.
Ich wollte die Helden der Barrikadenkämpfe alle näher kennenlernen und hängte mich, wie schon vorher in Braunschweig, an die, die mir am radikalsten erschienen, ohne allerdings selbst klare politische Vorstellungen zu haben. Da war zunächst Peter, Punkie mit riesengroßen blauen Augen, ich genoß es, auf ein oder zwei Demos in seiner Nähe zu sein, zum Glück passierte auf diesen Demos nicht allzu viel, denn was praktische Konfrontation angeht, hatte ich keine Erfahrung und fürchterliche Angst. Andererseits genoß ich natürlich das Gefühl von Stärke, mit ner großen Gruppe zusammen schwarz U-Bahn zu fahren, oder in ner Demo-Kette zu gehen. Und die Gesichter, die ich kannte, wurden auch immer mehr.
Ich war in Peter verliebt, aber wie konnte ich ihm näherkommen? Da war ja auch noch Evelyn, die wilde Wienerin in knackigen Lederjeans. Nachts mußte so ein besetzte Haus natürlich bewacht werden, je zwei Leute schlugen sich also mit Funkgerät und Fernglas im Gemeinsachaftsraum die Nacht um die Ohren, um von etwaigen Bullen- oder Faschoüberfällen nicht überrascht zu werden. Besondere Stunden in der Frontstadt Berlin, draußen klirrende Kälte, in den beiden Nachbarhäusern einige befreundete Besetzer, zu Beispiel der wilde Frank, Indianertyp mit Irokesenhaarschnitt.
Am gegenüberliegenden Ufer des Landwehrkanals der Parkplatz des Urban-Krankenhauses, dort standen öfter Zivilbullen, um die Häuser zu observieren. Und wir wagten und vermummt mit Fernglas ans Fenster und peilten zurück. Und ab und zu fuhren Zivis oder Streifenwagen direkt an den Häusern vorbei, manchmal nahmen sie auch Leute fest, die so aussahen, als gehörten sie dazu. Und manchmal flog ihnen auch ein Stein hinterher. Von Besetzers gab es auch eine Fahrnachtwache, die die Aufgabe hatte, Bewegungen bei den Bullenkasernen und sonstige Vorkommnisse zu melden.
So kamen einmal, als ich Peter bei der Nachtwache Gesellschaft leistete, tief in der Nacht Wolle und Müsli zu Besuch, damals noch Bewohner der "bösen" Luckauer 3. Bei ein oder zwei Tütchen - obwohl das ja eigentlich für Wachdienste verboten ist - erzählten die drei wilde Geschichten aus dem subversiven Berlin und Uta staunte und freute sich. Fliegendes knisterndes Zimmer in einer Berliner Nacht. Ich kochte ihnen Tee, denn in der kalten Nacht herumzufahren war natürlich auch kein Spaß. Höchstens vielleicht, wenn man mit den Bullen Katz und Maus spielt, wie sie das gerne taten und sich dabei stark und überlegen fühlten. Die Luckauer 3 wurde als akut räumungsbedroht eingeschätzt, weil die Bullen dort eine "Terrorhochburg" vermuteten, Zeitungsartikel, Medienhetze, besonders brisant wegen des gerade begonnenen Hungerstreiks der Gefangenen.
In Besetzerkreisen gab es immerzu diese wohl unvermeidlichen und trotzdem schrecklichen Debatten Verhandler / Nicht-Verhandler bzw. "militant" und "gewaltfrei".
Die Linie der Radikaleren war: Verhandlungen um Verträge erst, wenn alle Gefangenen Hausbesetzer wieder draußen sind, alles andere ist Spaltung. Zu erzählen und diskutieren gab es also viel in langen Nächten, jeder bei aller Fröhlichkeit bemüht, sich stark zu zeigen. Irgendwann muß man auch mal durch und alle Ängste vergessen fand ich auch.
Peter beschloß, ein Zimmer im ersten Stock für sich zu renovieren und kratzte akribisch die alte Tapete herunter, das artete in Arbeit aus. Reste vergangener Zeiten traten zutage, Zeitung mit Schlagzeile "Molotow macht Friedensangebote" und kunstvoll gemalte Jugendstilblume. Immerhin konnte ich auch mal etwas sinnvolles tun außer einkaufen, Tee kochen und abwaschen - was mit der Eichtalstraßen-Methode - das Geschirr in einem großen Einmachtopf auf den Herd stellen - gar nicht so schlimm war.
Es kam auch vor, daß ich mal ganz allein im Haus war, wenn die anderen alle etwas vorhatten, oder jedenfalls andern den Schlüssel herunterwerfen bzw. wieder hochziehen mußte. Udo und Marca arbeiteten in dieser Zeit mit an der provisorischen Renovierung einer Kneipe am Herrmannplatz, das "BesetzA-Eck", wo ich dann nach der Eröffnung auch häufig war.
Dann, Anfang Februar, war Peter plötzlich im Knast. Die Bullen hatten ihn nachts auf der Straße in der Nähe vom Fraenkelufer festgenommen und warfen ihm vor, vom Balkon eines besetzten Hauses einen Stein auf ein Polizeifahrzeug geworfen zu haben. Trotz Dunkelheit und Vermummung hätten sie ihn genau erkannt. Das fand ich nun echt Scheiße, klassische persönliche Betroffenheit.
ch war wohl auch in der ersten Zeit mit als Besucher bei einem Prozeß gewesen, wo ein Hausbesetzer wegen eines offensichtlich zusammengezimmerten Vorwurfs des Steinewerfens für schuldig gesprochen und zu Knast verurteilt worden war.
Der arme Peter, ich schrieb ihm einen wahrscheinlich ziemlich unbeholfenen Brief, "Ich habe die unheimlich lieb" stimmte jedenfalls, und nach einer Weile bekam ich auch Antwort und konnte ihn auch besuchen, zweimal. Einmal allein, ich hätte mich besser vorbereiten sollen und saß dann da die meiste Zeit fürchterlich verlegen schweigend bei meinem ersten politischen Knastbesuch mit dem Schließern im Nacken.
Immerhin konnte ich ihn mal sehen und Knastbesuche sind sowieso ätzend. Er schloß sich wohl auch für zwei Wochen dem großen Hungerstreik an. Irgendwann war dann der glückliche Tag gekommen und er wurde wieder freigelassen, wohl so im Mai, und wir holten ihn mit einer ganzen Meute ab, saßen noch ne Weile in Moabit in einer Kneipe herum. Er zog dann in eine Wohnung in Kreuzberg 61, wo ich ihn kurz darauf mit einer Freundin besuchte.