Norway May 2006 / II
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Mo. 15.5. mit dem Zug nach Stavanger, schöne Strecke aber aus irgendwelchen ungewöhnlichen Gründen 2 Stunden Verspätung und Umwege. Angenehmer kleiner Zug, schnauft auf der größtenteils eingleisigen Strecke durch Kurven und Tunnel. Jede Menge kleine und mittelgroße Seen. Eine ältere Dame sitzt neben mir und klärt mich über das Latzhosen-Phänomen auf, "Back to Dungaree High". Überall laufen nämlich Jugendliche mit bemalten roten Latzhosen mit Schulnamen, norwegischen Fähnchen usw. herum. Das ist so in der Woche vor den Abschlußprüfungen, da tragen sie alle diese Hosen, saufen und drehen durch. Viele Eltern haben schlaflose Nächte in dieser Zeit, sagt sie.

Di. 16.5. Wetter ziemlich kühl und grau, am Hafen in Stavanger laufe ich einem Ausflugsboot zum Lysefjord in die Arme, da kann man nichts falsch machen. Auf Deck fegt ein ziemlicher Wind aber genauso atemberaubend ist die Landschaft, Meer, Weite, Inseln, Felsen. Nach einer Weile biegen wir in den Lysefjord ein, die Felsen werden immer höher und steiler, haben teils eine gradezu Breker'sche Schroffheit und Kantigkeit. Bald darauf schauen wir rauf zu den auf jeder Postkarte zu findenden Preikestolen-Klippen, 600 m hoch. Kurz darauf füllt der Bootsmann an einem Wasserfall einen Eimer, aus dem es dann für alle zu trinken gibt, 'from the rocks' sozusagen.

Mi. 17.5. Norwegischer Nationalfeiertag (anläßlich der Verabschiedung der ersten demokratischen Verfassung in Europa und der Unabhängkeit von Schweden 1814), überall große Umzüge, die teils einen Faschingszug-artigen Charakter haben. Leute jeden Alters und jeder Bevölkerungsgruppe (und Haarlänge) in Anzügen bzw. die Frauen in bestickten langen schwarzen Kleidern. Es regnet in Strömen, eine Gruppe Kids in dem Umzug führt etwas vor und prügelt sich mit Luftmatratzen. Nachmittags war ich in Brusand am Strand, erst etwas orientierungslos aus dem Zug Richtung Strand gelaufen und zuerst vor 'Hitlers Zähnen', einer Sperranlage gegen Amphibienfahrzeuge aus dem zweiten Weltkrieg gestanden und dann vor einem Fluß, der den Ort von einer großen Düne trennt. Dann doch den Übergang zum Strand gefunden, Meer! Schön! Und von einer unglaublichen Farbe, türkis, weiter weg wolkenverhangen liegt Egersund. Bilderbuch-Strand mit einigen Felsen, Prädikat unbedingt wiederkommen!

In Meyers Reiseführer steht, daß Norwegen beim Tschernobyl Unfall 1986 mit am meisten Fallout abbekommen hat, Schafe und Rentiere mußten notgeschlachtet werden. Noch heute sollen manche dem Verzehr von Pilzen und Beeren gegenüber skeptisch sein. Vielleicht auch ein Grund für schwarze Misanthropie, die Kids, die im aufstrebenden Wohlfahrtsstaat lebten und durch Umstände, für die niemand im Land etwas konnte die überall wachsenden Beeren bei Lebensgefahr nicht essen durften ...

Do. 18.5. Ich war, immer noch Regenwetter, im Ölmuseum, moderner futuristischer Bau am Hafen. Viel Wissenswertes zum Thema Öl, was Norwegen seit den 1960-ern zu erheblichem Wirtschaftswachstum verholfen hat. Öl, ein Stoff, gleichzeitig Segen und Inferno. Mittlerweile gibt es sogar aus Öl gewonnene Proteine, die Tiernahrung beigemengt werden, naja. Neben verschiedenen technischen und geologischen Ausstellungsräumen gibt's einen künstlerischen, einen Petro-Dome: ein dunkeler quadratischer Raum mit Projektionsflächen und Spiegeln wo eine Art Videoanimation zum Thema Menschheit und Erdöl läuft. Sehr psychedelisch, abgefahren. Unendlich gespiegelte organische Formen kommen teilweise sehr Giger-mäßig rüber, dazu strange Sphärenmusik. Happy Tom sagte kürzlich in einem Interview auf die Frage, was er tun würde, wenn er norwegischer Bildungsminister wäre: "einen Metal Dome bauen - weil das die Norweger können: To make Satan rock!" Jemand erzählt mir später, daß dies auf eine Debatte in Oslo um die sündhafteuren Bau eines Opernhauses zurückgeht, wo es eine Initiative gibt, die einen Metal Dome viel angemessener fände. Kann man verstehen.

Dann den ganzen Abend mit Helge Dirty Haffy von der Turbojugend Stavanger im angenehmen und am Donnerstag recht leeren Club Checkpoint Charlie am Hafen gesessen. Er arbeitet als Schichtleiter bei Burger King, teilweise 12 Stunden aber dann hat er auch wieder Wochenenden frei für Konzerte und sowas. Und niemand sagt was wegen seines Metal-Outfits. Er hat mir die neue CD seiner Band Upskirts und einige Patches mitgebracht. Satter Schweinerock, viel besser geworden seit dem Demo, was er mir bei den letzten WeltTurboJugendTagen in Hamburg in einer Frittenbude auf der Reeperbahn geschenkt hatte. Hier im Checkpoint haben sie auch schon mal gespielt, eine Show mit Turbo-Coversongs. Die Turbojugend Stavanger besteht de facto aus sieben Leuten, von denen zwei jetzt in Bergen studieren. Viele der 50 Mitglieder aus der Listen im Internet haben sich nur just-for-fun dort eingetragen. Happy Tom hatte auch eine Zeitlang in Stavanger gelebt. Als sie gerade "Party Animals" aufgenommen hatten, kam er einmal mit einer Rohfassung in den Laden, um auf ner Kneipenanlage den Sound zu testen. Der Typ am Tresen legt Satyricons neue CD rein, liegt vielleicht an meinem T-Shirt. Erste Frage von Helge: Was ist mit dem Datum der dritten WeltTurboJugendTage? Seine Band hat einen Proberaum in seinem Haus, gelegentlich spielt Helge neben dem Singen auch etwas Schlagzeug. Ob er auch wandert oder angelt frag' ich - bei der Landschaft. Nee, hat er neben Arbeit und Band gar keine Zeit zu. Auf dem Preikestolen-Felsen war er mal mit der Schule. Seit zwei Jahren besteht in Norwegen absolutes Rauchverbot in Kneipen, früher waren solche Läden total verqualmt, heute gehen deswegen viele Leute nicht mehr so oft weg. Der Verkauf alkoholischer Getränke ist auch sehr reglementiert, man bekommt sie nicht überall und bis vor einigen Jahren war in einigen Regionen der Zeitraum des Verkaufs auf die Vormittagsstunden begrenzt. In den Kneipen gibt’s strenge Alterskontrollen, jede hat ihren Türsteher, der kontrolliert. Auch Leute, die sturzbetrunken sind, bleiben draußen. In Jugendzentren wird überhaupt kein Alk ausgeschenkt, weshalb Konzerte dort weniger lustig sind, meint Helge. Er traf kürzlich zusammen mit anderen Turbojugend-Kumpels Faust (Emperor / Scum u.a.) und baggerten ihn Turbo-schwuchtelnd an, er nahm's mit Humor. Silver mag er nicht, The Cumshots, eine ultimative Bad-Taste Band ähnlich den frühen Turbos, zogen auf einem Festival ihre wilde Show mit Fuckin' on Stage und so ab, anschließend spielte Silver und es regnete, Silver trommelte 20 Jungfrauen zum Beten zusammen und behauptete, es hätte nur deswegen geregnet, weil die Cumshots gesündigt hätten. Kürzlich hat Iggy Pop in Bergen gespielt, Supershow, Iggy zozal fit und ging voll ab mit Crowdsurfen und allem. Warum sind die norwegischen Kids so gut in Musik? Naja, die "wünschen sich eben Gitarren und Drum-Kits zu Weihnachten, keine Ponys". "Final Warning" (Turbonegro/ Party Animals) ist ein Song darüber, nicht immer bei ejdem Gig "Erection" spielen zu wollen - obwohl's natürlich alle hören wollen. "The Manowar Drinking Game": Man hört "Brothers of Metal" und bei jedem metallastigen Wort muß getrunken werden. Auch muß eine Kutte in Bier getauft sein. An Haffy's klebt auch noch das Turbo-Blut aus "Scandinavian-Leather"-Zeiten. In Norwegen gibt es nur ca 2-3% Arbeitslosigkeit, viele werden wohl auch durch bestimmte Programme, "Arbeitsunfähigkeit" aus der Statistik rausgemogelt. Er selbst möchte vielleicht eine eigenen Kneipe aufmachen, oder mit Musik mehr ins Geschäft kommen. An der Theke sind mitlerweile drei Girlies, die total enthusiastisch Foo Fighters hören. Solch einfache Begeisterung kenne ich aus Deutschland kaum.

Helge stieß 1996 auf Turbonegro, als er "I got Erection" live im Radio hörte. Dann kam "Get it on", was in Norwegen ein richtiger Hit war, überhaupt Apocalypse Dudes. Die Turbojugend Stavanger gibt's seit ca. zwei Jahren.

Sa. 20.5. Nochmal nach Brusand gefahren und den Superstrand dort genossen, diesmal mit Sonnenschein. Mein Entschluß, wenigstens einmal kurz in die überaus verlockenden Wellen zu hüpfen, blieb bei definitiv abfrier-gefährdeten Füßen stecken. Immerhin ne ganze Weile schön barfuß im Sand gelaufen. Auf ner Klippe die Wellen beobachtet, die an die schwarzen, teils Toteninsel-mäßig aussehenden Felsen klatschen. An dem Dünenfluss brüten jede Menge Mövenpärchen zwischen dicken gelben Butterblumen. Himmel und Wasser in satten Blautönen.

So. 21.5. Tour nach Randaberg an der nordwestlichen Landecke bei Stavanger, dumm nur, wenn man keine ordentliche Karte hat und sich die Entfernungen ziemlich hinziehen. Viel Landwirtschaft und jede Menge nach frischem Dung riechende Felder. Felder mit knackigem Eisbergsalat. Endlich das Meer gefunden, dicke Bunkerfestung aus dem zweiten Weltkrieg, schöner Wanderweg zum Fähranleger, von wo aus der Bus zurück fährt, eine Art Seightseeing-Tour durch hübsche hügelige Skandihaus-Siedlungen mit Parks und Seen dazwischen. Im Hafen liegen dolle Schiffe direkt am Kai: Ein großer Dreimast-Segler, ein Kriegsschiff, einige alte Passagierschiffe, und immer wieder große Kreuzfahrtschiffe. Hochseeschlepper, diverse Fähren und kleine Fischkutter mit Lachsen und Garnelen.

Abends ins Folken, Theater bzw. Konzerthaus gebaut 1920, unten drin ein nettes Studi-Cafe. Silver plus Support spielen, ca. 200 Leute, halbleer. Eher Popperpublikum. Die Supportband rockt amtlich a la Backyard Babies, ein Security quatscht mich an, daß ich nicht fotografieren soll, na denn. Silver beginnt mit einem bombstisch düsteren Intro, rockt ganz gut, geht mir mit dem Christengepose aber zunehmend auf die Nerven. Am Hafen ist jetzt gegen Mitternacht High Life, reichlich "vorgetrunkene" Jugendliche und ältere sammeln sich um die vielen Straßencafes. Im Burger King steht Dirty Haffy bei der Arbeit, Nachtschicht.