Texte - Reportagen - Kurzgeschichten

geschrieben für OroPax Nr. 1 / November 2005


Was war - war was?
Braunschweiger Szenegeschichte(n) II
Interview mit Carsten


Vor 15 Jahren, am 8. Januar 1988 wurde das seit 1984 besetzte Erwerbslosenzentrum Wolfenbüttler Str.14 in einer Nacht- und Nebel-Aktion von der Polizei geräumt und abgerissen. Das zum Veranstaltungsort umgebaute Wohnzimmer des kleinen Hauses hatte sich in den Jahren zuvor zu einem Treffpunkt Braunschweiger Punks, Underground- und Politleute entwickelt. In Hamburg bzw. Berlin sind Plakate und Fotos der Barrikadenkämpfe rund um die besetzten Häuser Hafenstrasse bzw. in Kreuzberg mittlerweile in Museen als Teil der Stadtgeschichte zu bewundern. Braunschweig ist da noch nicht so weit. Vielleicht ist es mal an der Zeit zu sammeln.

Ich traf Carsten, der lange in der damaligen Konzertgruppe und später im Verein für unabhängige Kultur (V.f.u.K.) aktiv war, und wir fingen an, über die alten Zeiten zu plaudern:

Uta.: Hallo Carsten, Du bist auch schon seit Anfang der 80-er in der Braunschweiger Punkszene unterwegs, und du hast auch das letzte Oropax gelesen - hat es dir gefallen?

Carsten: Ja, richtig. Besonders der Artikel mit dem langjährigen Weggefährten Reiner hat mich interessiert, weil es doch sehr spannend ist, wie unterschiedlich in so `ner übersichtlichen Stadt wie Braunschweig Szenen wahrgenommen werden. Da war zu der Zeit ein großes Wir-Gefühl, aber trotzdem hat da jeder seine eigenen Biographie.

U.: "Gefühl und Härte" war damals ein Motto, was in der Punkszene und auch in der Hausbesetzerszene in Berlin und so kursierte. Was sind deine ersten Erinnerungen an die Punkszene?

C.: Dieses Gefühl anders zu sein, das Gefühl, was so links und rechts neben dir passiert, was alle machen, ist nicht dein Ding und ohne klares Konzept einfach bei dieser neuen Welle mitzumachen. Es war ja nicht so, dass damals Dutzende an Schulen als Grufties und Punks und sonstwer rumliefen, das war schon eine extreme Outlaw-Sache.

U.: Ich erinnere mich auch, daß damals viel mehr Konfrontation und Adrenalin in der Luft lag als heute ... Was waren deine ersten Konzerte?

C.: Daily Terror Sommer 1980, das was hier in Braunschweig in den Übungs-Kellern passierte, 80 oder 81 die Ramones in Hannover haben gerockt. Wichtig war aber auch immer das Drum und Dran, mit Leuten zusammen zu Konzerten in andere Städte zu fahren und so. Beeindruckt haben mich auch so Bands wie Black Flag, Bad Brains, gesehen habe.

U.: In meiner Erinnerung entstand eigentlich erst Mitte der 80-er im Umfeld des Erwerbslosen-Zentrums Wolfenbüttlerstr. 14 in Braunschweig eine selbstorganisierte Underground-Kultur ...

C.: Das erinnere ich anders. Die Szene war sehr inhomogen, sie verband das Lebensgefühl. Es waren intellektuelle Leute dabei, musikalische Leute, Kneipenprolls, Kid-Punks und Senioren, das hat auch gerade Anfang der 80-er an Braunschweig gefallen, daß trotz grosser Unterschiede der Kontakt möglich war.

U.: Einige Leute sind auch ziemlich abgekackt, zu Nazi-Punks geworden oder im Drogensumpf versunken.

C.: Junk, politische Verwirrung - gerade wo das gestartet hat, kannte man die Leute. Ich hatte auch mal Stress mit Skins, aber wenn man dann in der Ahoi-Bar zusammen an der Theke gesessen hat, wurden die Fronten auch wieder lockerer. Später hat dann auch durch Wobü 14 und Böcklerstrasse eine Polarisierung eingesetzt, die die Szenen und Cliquen sehr auseinanderdividiert hat.

Das mit der Politisierung fing bei mir so an: Punk, Musik hatte für mich über die Texte und das Auftreten in der Öffentlichkeit schon immer einen politischen, gesellschaftskritischen Aspekt. Politische Texte von Crass oder den Dead Kennedys, die soziale oder gesellschaftliche Misstände anprangerten.

U.: Welche Erinnerungen hast du an die Wobü 14? Das war ja ein Einfamilienhaus, hatte vorher eine Weile leergestanden und war dann von einer autonomen Erwerbsloseninitiative besetzt worden. In dem winzigen Wohnzimmer haben dann die Konzerte stattgefunden.

C.: Ich habe die Einladung, mal in ein besetztes Haus zu kommen, damals von Schlampe, der nicht so sehr als politischer Aktiver galt, erhalten. Besetztes Haus, Besetzerszene, das war etwas, was wir in Braunschweig eher aus Berlin kannten, wo ja Anfang der 80-er Hunderte Häuser instand-besetzt waren.

Die Bands: mein erstes Konzert da waren Die Falschen FuffzigeR, sehr familiär war es da durch die Räumlichkeiten. Auch größere auswärtige Bands haben da gespielt, Emils aus Hamburg, Jingi de Lunch ... die Konzertgruppe war da ziemlich aktiv, haben gerade in Richtung amerikanischlastigen Hardcore einiges auf die Beine gestellt.

Es war schon mit sehr viel Emotionen verbunden, wenn z.B. die Emils aus Hamburg besoffen aus so'nem Renaut-Kastenwagen hinten rausfielen und dann um Mitternacht die Party erst losgehen konnte. Böcklerstrasse, so ne Story, wo irgendwelche Leute nach einem Konzert nicht nach Hause gehen wollten, und die Konzertgruppe dann als Dankeschön für tagelanges Organisieren und ne lange Schicht fast noch auf's Maul bekommen hätte, Silvesterfeiern, wo das ganze Munitionsmatieral mal ausprobiert wurde.... Wo man sich gefragt hat: ey, ist das ganze Martialische wirklich ernst gemeint? Es war auch nicht immer alles sehr zielgerichtet und man hatte auch noch nicht die Erfahrung, zu sagen, das läuft jetzt aber aus dem Ruder ... Wenn mal der ganze Bahnhof abgeriegelt war, weil irgendwer im Zug gemeint hat, die Notbremse ziehen zu müssen, war auch viel Koma und so mache Panne-Aktion dabei.

Ich erinnere mich jedenfalls noch gut an den Abriss der Wolfenbüttlerstr.14. Ein alternatives oder autonomes Jugendzentrum wollte die Stadt Braunschweig nicht zulassen. An einem Tag, als gerade alle Leute bei einem politischen Prozess ihren angeklagten Freunden Gesellschaft leisteten, ist es kurzerhand mit Bulldozern übergedozd worden. Dann gab es eine eindrucksvolle Presseveranstaltung auf den Trümmern ...

U.: Wo der damalige Oberbürgermeister Glogowski ein neues Erwerbslosen/Kultur-Zentrum in unmittelbarer Zukunft versprochen hat. Der Einlösung dieses Versprechens musste dann aber jahrzehntelang nachgeholfen werden.

C.: Ja, es gab durchaus Projekte in Braunschweig, die durch Verhandlungen mit der Stadt zustande gekommen sind, z.B. das "Baugenossenschaft"-Haus in der Schubertstrasse oder das WG-Haus in der Leopoldstrasse. Wichtig war, daß sich Leute organisiert haben, die solche Dinge gefordert haben und dem durch Besetzungen, Verhandlungen, Pressearbeit Nachdruck verliehen haben. Auch viele vergebliche Versuche - das alles hat dazu beigetragen, daß es jetzt z.B. das Nexus gibt.

U.: Als die Wobü 14 noch bestand, war von ganz vielen Leuten ein anderes Haus in der Nähe besetzt worden, mehr oder weniger auf dem selben Grundstück: das Konzerthaus Böcklerstrasse, das war in Braunschweig das grösste Underground-Sozialexperiment. Nachdem die Wobü 14 nicht mehr existierte, eigneten sich die Leute dort den grossen alten Konzertsaal an.

C.: Für mich fand in/durch die Böcklerstrasse eine starke Politisierung statt. Ich habe damals den Konzertsaal mit ausgebaut, habe auch viele Konflikte da miterlebt. Die Böcklerstrasse ist von aussen gleichgesetzt worden mit "den Autonomen". In der Zeit kam zu dem Konzerttourismus auch ein Demonstrationstourismus, man ist sehr viel politisch unterwegs gewesen. Es haben sich da sehr vielfältige Kontakte ergeben. Es gab viele Gruppierungen, die dort eine Plattform hatten. In so einem Schmelztiegel, obwohl es auch viele Konflikte gab, hat es das in Braunschweig auch nicht wieder gegeben.

U.: Deswegen interessiert mich diese Phase besonders, es war das weitestgehende irgendwie kollektive selbstorganisierte Projekt. Es entstanden viele Gruppen daraus, u.a. der "Verein für Unabhängige Kultur", der nach einigen Umbrüchen heute das Nexus betreibt. Es gab da auch das erste Antifa-Cafe in Braunschweig, ein Frauen-Cafe, poltische Veranstaltungen ... Wie waren die Strukturen, wie wurde mit Konflikten umgegangen?

C.: Es gab da ein Plenum, wo es vor allem um das Haus ging, aber auch um andere politische Themen. Es daraus auch zu einzelnen Schwerpunkten Arbeitsgruppen gebildet: Öffentlichkeitsarbeit, direkte Aktionen, Demos. Häuserkampf, heute vielleicht nicht mehr so nachvollziehbar: Das wurde dann auch mein Schwerpunkt, vielleicht auch, weil ich dann angefangen hatte, Architektur zu studieren.

U.: Was ich davon gehört habe, war das auch so'n Ausprobieren von allem, was irgendwie geht, wo die ganze Szene vorher nicht den Raum zu hatte. Ganz unterschiedliche Leute treffen aufeinander, Die Polizei machte einmal eine gross angelegte Razzia wegen angeblich geklauter Einkaufswagen und stand auch sonst öfter vor der Tür.

C.: Man sieht, dass da unterschiedliche Menschen aufeinander getroffen sind, aus welchen Gründen die da auch hingekommen sind, die Spass-Fraktion "Ey, da ist was los" oder aus konkreten politischer Planung heraus.

Ich habe mal erlebt, (81) in der "Bambule" (selbstverwaltetes Kommunikationszentrum Helmstedter Str./BS), wo Donnerstags Punk-Abend war, da kamen Leute, die wir als "Nazi-Punks" titulierten, und meinten, draussen gäb's irgendwo Stress und hatten so 'ne konstruierte Geschichte, ich bin da erstmal mitgewackelt, und das Ganze endete damit, dass organisierte AKW-Gegner mit Helmen aus Autos sprangen und gar nicht wussten, warum sie über Telefonkette gerufen wurden und vor der Bambule mit den Ausgesperrten Punks eine rauchten, bis die drinnen sagten "Nee, ihr sollt doch die vermöbeln, wegen denen haben wir doch angerufen" In dem Chaos wollten wohl einige Leute Streit suchen. jedenfalls ging dann ein Feuerlöscher los ... da war alles nicht so homogen, wie man vielleicht denkt. Die Bullen mussten da natürlcih auch ´ne Meinung zu haben und kamen dann auch angefahren, ich erinnere mich, dass ich Valle mit furchtbar viel Feuerlöscher-Pulver im Auge in eine Seitenstrasse gezerrt habe. - Erinnerungen, die haften bleiben. Die politische Richtung war dabei nicht so besonders klar.

U.: Spätestens in der Böcklerstrasse wurden auch harte Konflikte unter politischem Vorzeichen geführt, z.B. zwischen dem anarchistischen Plenum, wozu hauptsächlich jüngere Punks zählten und einigen von den älteren, die sich irgendwie als autonome Kommunisten begriffen.

C.: Es war letztendlich ein Aufeinandertreffen von Welten. Von lebenserfahrenen, sich über ihr Handeln bewussten Leuten und Leuten, die aus der Situation heraus gelebt haben, das muss zu Spannungen führen und hat viel gezeigt. Es hat mich schon schockiert, wie innerhalb der Böcklerstrasse Ausgrenzung stattgefunden hat, mit dem Ziel, das Sagen zu haben. Machtkämpfe kannte ich bis dahin nicht und hab sie auch nicht wieder erlebt. Ich fand das damals schon und heute noch viel mehr nicht mein Ding, wenn Leute unterschiedlicher politischer Couleur sich gegenseitig so runtermachen. Da gibt’s sicher andere Stellen, wo man besser ansetzen sollte. Der Versuch von politischem Dogmatismus, Punk einzunehmen, ist aber gescheitert - zum Glück. Es gab auch ganz viele, die irgendwo dazwischen standen und auch einige, die sich dann ganz von organisierter politischer Arbeit abgewendet haben.

U.: Der "Verein für unabhängige Kultur" (V.f.u.K.) hat eine Zeitlang Konzerte u.a. im B58 veranstaltet und sich dann dem Haus Frankfurter Strasse zugewendet.

C.: Das stimmt nicht ganz. Nach Abriss der Wobü 14 war die Forderung nach Billigem Wohnraum und einem Veranstaltungsort für unkommerzielle Konzerte vorgetragen worden. Es hat immer wieder Aktionen, Veranstaltungen und Soli-Konzerte gegeben, die bewiesen, dass Bedarf vorhanden ist und es Leute gibt, die das organisatorisch tragen. Es gab verschiedene Umwege: eine Hausbesetzung in der Riedestrasse, eine Besetzung im Magnitorwall, wo jetzt das "Kleine Haus" des Theaters ist, eine Besetzung in der Eisenbüttler Str. - es gab immer wieder Ansätze, sich Räumlichkeiten anzueignen. Diese waren jedenfalls öffentlichkeitswirksam, und oft von vornherein nicht darauf angelegt, sich dort zu verbarrikadieren. Es hat uns aber wieder Wege zum Verhandlungstisch geöffnet. Nach langem Ringen wurde dann ja der Nutzungsvertrag für die Frankfurterstrasse / jetzt Nexus abgeschlossen. Es hat so lange gedauert, dass ich mich fast wundere, dass da noch Leute von den Anfängen her mit dabei sind.

U.: Gehst du heute noch gerne auf Konzerte?

C.: Wenn ich heute Punks sehe, hab ich gemischte Gefühle, ich finds phänomenal, dass so Locations wie das Fire-Abend oder auch das Outfit der Kids so identisch ist zu dem, was ich vor 20 Jahren erlebt habe, fast eine Zeitreise. Und ich fühle mich da immer noch zuhause.

U.: Danke Carsten, bis zum nächsten Konzert.

C.: Wir sehen uns!

Interview: Uta Heuser, Oktober 2005