Texte - Reportagen - Kurzgeschichten

geschrieben für OroPax Nr. Null / Juli 2005


Braunschweiger Szenegeschichte(n):
Der Mann hinterm Mischpult


Man kennt ihn schon jahrelang aus Konzerten im Nexus, Fire-Abend oder Drachenflug. Er ist der unsichtbare Mann hinter dem Mischpult und doch ein wandelndes lexikon braunschweiger Szenegeschichten! Für OroPax mit Reiner getroffen hat sich Uta, um mit ihm eine kleine Reise in die Vergangenheit zu unternehmen, aber lest doch selbst ...


Uta: Hallo Reiner, wie geht es den Ohren?

Reiner: Tiptop bis auf einen kleinen Tinnitus zwischendurch, den ich mir dann aber vor'm Fern- seher weghöre ...

Uta: Wir sind uns zum ersten Mal begegnet im Treibhaus, einer Punkerkneipe 1980. Dort hast du als Thekenkraft gearbeitet und ich fing gerade an mich für Punk zu interessie- ren. Wie kämmst du in die Punkszene?

Reiner: Wegen einer Dame bin ich hier in Braun- schweig gelandet. Damals sah ich noch relativ normal aus, mit Schlaghose und etwas längeren, gefönten Haaren.
Da lehnte sich jemand über eine Brüstung und hat einen Schlüssel fallenlassen, den wollte ich ihm aufheben und da habe ich mein erstes Bier über den Kopf gekriegt. Vierzehn Tage später habe ich schon da gearbeitet. Das war übrigens der beste Laden, in dem ich jemals gearbeitet habe. Das Treibhaus hat leider zugemacht, weil der Betreiber Rainer Müller sich mehr für Fotosachen interessiert hat und aus BS weggezogen ist.

Uta: Bist du damals auch schon zu Konzerten mitgefahren? Was waren deine schönsten Konzerterlebnisse?

Reiner: Mein erstes Konzert waren die TUBES; und eine Band namens METEORS (nicht die Psychobillys), das waren Erlebnisse, die man nicht vergisst. Wir haben auch selber Konzerte veran- staltet, FRED BANANA COMBO damals in den alten Ruinen ((Grotrian d.Verf.)), wo wir noch Strom rüberlegen mussten.
Ich bin auf die ersten DAILY TERROR-Konzerte mitgefahren, wir sind nach Berlin gedackelt und haben die PARANOIA KIDS ((aus BS)) beglei- tet, die da mit den DK SUBS zusammen gespielt haben, nach Hannover zu DAMNED und SOIUXIE & THE BANSHEES. Für mich sind besonders die Konzerte in Erinnerung geblieben, die relativ klein (waren. Wir waren mal in so nem besetzten Haus in l Göttingen, da hat HANS-A-PLAST gespielt. Das stand sogar in der Bravo, weil wir da unangenehm aufgefallen sind. Wie halt so Punker sind. Ich war schon Punk mit allem Drum und Dran. Ins Kauf- haus gegangen, Einkaufswagen vollgepackt und dann im Kaufhaus gegessen, weil wir nichts hatten, Rotkohl in der Kaffeemaschine heiss gemacht...

Uta: Einige Zeit später hast du dann selber einen Laden gehabt, das KOCA...

Reiner: Nach dem Treibhaus bin ich immer ins Mustache, der nächsten Punkerkneipe. Dort habe ich Platten aufgelegt. Irgendwann hat mich dort Spitze Wiegand gehört, der einen New-Wave-Laden aufmachen wollte. Das war dann das LEUKOPLAST am Rebenring ((heute Siele-Grill)). Ein angesagter Laden, immer rappelvoll. Da hab ich Musik aufgelegt und Sachen gespielt, die die Leute nicht kannten. Wir sind regel- mäßig nach Berlin gefahren und haben uns Platten angehört, die du hier gar nicht kaufen konntest. Das Leukoplast ist dann dahin gezogen wo heute das SCHWANENSEE ist. Der Laden war bis Berlin bekannt, das war Kult. Da sind auch Leute hinge- kommen, die in Braunschweig Konzerte gegeben haben, SIMPLE MINDS oder KRAFTWERK. Nach einiger Zeit ging es mit dem Laden leider bergab, da hat mich der Lindhorst-Gaststätten abgewor- ben für sein FLOP (in dem ich übrigens als Punker Lokalverbot hatte). Da lief alles rum, was du dir als Menschen vorstellen kann, angefangen vom ganz, ganz Armen bis zum ganz ganz Reichen, von echt Doofen bis hin zu wahnsinnig Cleveren. Das FLOP ist dann zu einem ziemlichen Schlägerladen verkom- men. Musikmäßig war der Laden ziemlich gut,Ich hatte da auch ne heftige Zeit was die körperlichen Auseinandersetzungen anbetrifft. Zu der Zeit gab es auch das POGO ((Kneipe, wo heute das BRAIN ist)). Das POGO ging dann pleite, und Axel und ich haben Geld zusammengerafft, Schulden gemacht und 1986 das COCA aufgemacht. Im Mai haben wir angefangen dort zu renovieren und nach vier Monaten war Eröffnung. Das Geschäft hat gebrummt. Das lief eine Zeit lang ganz gut, dann kamen die ganzen Sünden - das COCA machte seinem Namen mehr Ehre, als ihm guttat. Daran ist der Laden letztendlich krachen gegangen, und ich hatte einen Haufen Schulden.
Dann gab es dort drei Monate lang das P7 mit nem Pufftypen drin, ich hab gesagt, "Pass auf, der ist in drei Monaten wieder weg" - und so war es dann auch. Da haben Leute auf die Birne gekriegt, weil sie dachten das wäre noch das KOCA.
Danach fand ich einen anderen Partner, Wallasch. Der Laden hieß nun LINE und ich habe als stiller Teilhaber weitergemacht. Dann ging der aber auch pleite und Wallasch verkaufte den Laden an Herrn Knapp. Aber Peter Knapp hatte das Problem, dass er irgendwann keinen Bock mehr hatte. Aber er hatte Geld und den Laden hat er mir so wie er war geschenkt. Da habe ich dann mit meiner jetzigen Freundin Kerstin weitergemacht. Übrigens: Bei der Band SLUTS mit Schlampe, Pelle und Cat habe ich mal Schlagzeug gespielt, da war ich der allererste Schlagzeuger - und habe so versagt. Den Schriftzug habe ich kreiert, wie auch der Schriftzug LINE.
1995 wollten wir das LINE verkaufen. Es gab viele Interessenten und wir bekamen einen guten Preis von dem Immobilientypen Scheibe (Brain etc.). Am letzten Tag hab ich zu den Leuten gesagt: "Ihr könnt hier machen was ihr wollt, ich möchte nur, dass die Anlage stehenbleibt". Daraufhin haben die Gäste alles leer gesoffen was da war und danach den Laden in Klump und Asche gehauen. Ob die Äxte dabei hatten, weiß ich nicht. Fakt ist, dass sie im Zerstörungswahn sogar die Theke weggeris- sen haben. Nur die Anlage konnte ich retten, die haben sie stehen lassen. Später hat mich der Kalii gefragt, ob ich nicht Lust hätte, mal was mit meiner Anlage,zu machen. Zunächst hatte ich da keine Lust drauf, aber es war dann der Beginn meiner Mixerarbeit. Im LINE hat sich hauptsächlich Gregor um die Konzerte gekümmert. Nach und nach habe ich mir dann noch Sachen vom Uwe von WHITELI- NE dazu geliehen, und angefangen, dazu zu kaufen und so ist es dann passiert. Bald wurden es immer mehr Läden, in denen ich gemixt habe, z.B. das Drachenflug. Viele Sachen lehne ich aber auch ab, die ich einfach nicht mache. Für mich sind das Freundschaftsdieste.
in der Zwischenzeit war ich verheiratet, hatte damals im LEUKOPLAST meine Ehefrau kennen- gelernt. Aber nach sieben glücklichen Jahren war Schluss. Mein Sohn Fabian ist mittlerweile 20 und macht gerade eine Ausbildung. Und ich habe mit Kerstin einen kleinen Sohn, Marlon, der zur Schule geht und jetzt aufs Gymnasium kommt - so blöd können meine Gene also nicht sein. Es läuft dann doch alles ziemlich geordnet, wenn man das so sieht, wie man mal angefangen hat, mit dem Rotkohl und so...

Uta: Es gab in den 80-ern auch verschiedene andere subversive Locations: Wobü14, Böck- ler st rasse, Kamannstrasse - erinnerst du dich daran?

Reiner: Böcklerstrasse? Da habe ich gewohnt, links neben dem besetzten Haus. Ich war kein Auto- nomer, ich hatte mit den Leuten nie Probleme. Ich war einmal auf einer Veranstaltung, wo die Besetzer die Nachbarschaft einge- laden hatten. Da war ich wohl der einzige Nachbar der da war. Ich glaube schon, daß die eine Menge richtige Sachen wollten, aber die haben sich dann bis heute so zerstritten, das ist nicht meine Welt.

Uta: Was sind deine Lieblingserinnerungen an die Aktionen, die im LINE stattgefunden haben?

Reiner: Meine abso- lute Lieblingsband war UNIVERSAL CONGRESS OFF, ein Nebenprojekt von BLACK FLAG und einem bekannten Trompeter. Da hatten wir vorher schon richtig Respekt, allein wegen der Anzüge auf deren Plakaten. Aber wie sie dann vor Ort anka- men, in Parka, sahen sie doch ziemlich verschlunzt aus. Einen Soundcheck lehnten sie ab:"Nee, brau- chen wir alles nicht ...", furchtbar nette Menschen und musikalisch grandios. Die haben dann bei mir gepennt und die Reste aus dem Topf gegessen, der da schon drei Tage gestanden hat.
Eine farbige Band hat mal bei mir auf der Luftmatrat- ze gepennt, und mein Sohn war damals vier Jahre alt und schrie: "Papa, Papa, da ist ein Igel im Zimmer!" weil er nur die Haare gesehen hatte. Ich habe so viele Leute kennengelernt.
HOWN DET HENTSCHEL habe ich in guter Erinne- rung. Claudius, der hatte mit den NEUBAUTEN zu tun, ein abgefahrener Typ, grandios. JONNY THUNDERS, ich dachte zunächst, sein Manager wäre der Star, weil er so aussah, als könnte er keine drei Meter mehr gehen. Den haben wir dann hochgepäppelt und auf die Bühne gebracht und es war einfach geil. Ich habe mich hinterher mit ihm unterhalten, weil er auch ein Kind und ne Frau hat und sich entscheiden musste und hat sich für die Musik entschieden. Lauter Highlights - ich kann gar nicht alle aufzählen.

Uta: Wie siehst du die Punk- und Konzert- Scene? Wie hat sie sich über die Jahre verändert?

Reiner: Ich finde, heute stehen Leute oft auf einem Konzert als ob sie auf einer Beerdigung wären. Ich frage mich warum die überhaupt kommen - als wenn sie überhaupt keine Lust drauf hätten. Obwohl eine gute Band spielt, sind die sehr, sehr trocken. Da fehlt einfach was, die Begeisterung. Die feiern ihre Bands nicht.

Uta: Ist die Szene heute peaciger, friedlicher als früher?

Reiner: Friedlicher ja, netter auch, aber doch abge- fuckter!
Früher waren wir "No Future" - anders sein und haben uns damit identifiziert. Wir sind mit den Bands gereist oder zu Konzerten gepilgert - heute müssen die Bands zu denen kommen. Und was ich von den Bands manchmal höre - einige sollten es lieber lassen. Das was die machen auf der Bühne ist kein Spielen miteinander sondern Krieg gegeneinander, da passt überhaupt nichts, Grotte! Und dann ist der Mixer Schuld wenn's scheisse klingt, (lacht)

Uta: Was sind deine Wünsche und Träume für deine Zukunft und die der Szene?

Reiner: Für die Szene finde ich es ganz wichtig, daß bestimmte Treffpunkte bestehen bleiben. Daß der DRACHENFLUG vielleicht wieder dazukommt, daß das NEXUS und der FIRE-ABEND bleibt und einige andere Locations, z.B das BURUNDI BLACK. Aber so viel gehe ich nicht weg.
Für mich selber - was auch schon teilweise in Erfül- lung geht: daß die Existenzängste, die man hat, anfangen, zu verfliegen. Man ist plötzlich doch soli- der als man glaubt. Wenn du so'n Kind hast, Weih- nachtsbaum und so, das hätte mir mal 1984 einer sagen sollen, dem hätte ich in die Schuhe gepisst. Heute sind das Teile, die zu meinem Leben gehören und ich finde die auch schön. Das Kind zu sehen und die großen Kulleraugen ... Oder auch Karneval, verkleiden. Solange du Verantwortung für andere trägst, mußt du auch gewisse Normen einhalten und kommst da nicht raus.

Uta: Hast du noch spezielle Wünsche an die Leser und Leserinnen des OroPax und die Konzertbesucher?

Reiner: Nicht immer so böse sein, wenn es mal zu laut ist. Manchmal kann ich gar nicht anders, weil es schon von der Bühne her so laut ist. Es sind ja immer kleine Läden. Für's OroPax wünsche ich viel viel Glück. Ich kenne das Fanzine ja noch nicht, werde ich dann mal reingucken. Und sage Toi toi toi!

(FragoPax/Fotos Uta)