Texte - Reportagen - Kurzgeschichten

erschienen in OroPax Nr. Null / Juli 2005


TURBOMANIA 2005
Dungaree High auf St.Pauli
... Give me Friction, Baby


Seit 1989 sind sie unterwegs, Dunkelheit und sexuelle Verunsicherung zu verbreiten. Als Gegengift zu Punkrock-Establishment, Black-Metal-Gewalt und übereifriger pc-Scene präsentierte sich TURBONEGRO aus Oslo / Norwegen als düster-schwule sensibele Anti-Machos in Denim-Outfit mit Seefahrer-Ambitionen. Ein schillerndes Profil, gekrönt von dem phasenweise psychotischen Sänger HANK VAN HELVETE ("Hank aus der Hölle"), der das Publikum mit aus dem Arsch gezaubertem Feuerwerk verzückte. Seine Gang: ein sein Keyboard malträtierender Pizzabäcker mit Stahlhelm, ein auf Querelle (Genet/Fassbinder) machender 'schwul' bassender SAILORMAN, ein straight zwischen Jonny Ramone und den Bee Gees agierender Rhythmusgitarrist, ein Rolex-Drummer und ein elfenhaft biegsames mit Gitarren-G-Points jonglierendes Wunderkind. Mit den Alben Ass Cobra und Apocalypse Dudes schufen sie unsterbliche Highlights der Punkgeschichte. 1998 lösten sie sich auf - "Due to drug problems, mental illness and an impending religious crisis we saw no other options ..." (HAPPY TOM Dez. 1998). - und fanden dann doch im Sommer 2003 wieder zusammen. Nicht zuletzt dank verschiedener Initiativen ihrer Fans, die begannen, sich unter dem einmal von TURBONEGRO selbst ins Spiel gebrachten Namen TURBOJUGEND zu sammeln. BELA (der Arzt) ließ der Legende nach in Berlin die ersten Aufnäher machen. Auf St.Pauli begannen einige Fans damit, ihre Jeansjacken mit entsprechenden Stickereien zu versehen. Das Hamburger BITZCORE-Label versammelte auf dem Tribute-Album Alpha Motherfucker Dutzende prominenter Turbo-Fans, daunter THE QUEENS OF THE STONE AGE und SATYRICON, BELA B. und BÜMCHEN. Schließlich hatten die Fans die Turbos überzeugt und Hank hatte seine Opiatabhängigkeit unter Kontrolle. Es folgten Reunion-Auftritte auf mehreren Festivals im Sommer 2002, und 2003 das Album Scandinavian LeatheR, mehrere Europa- und USA-Touren. Im Turbo-Archiv (s.u.) sind Hunderte Seiten Interviews und Stories zu finden, Rock'n Roll Highschool vom Feinsten.
Mittlerweile soll es über 800 TURBOJUGENDen geben, den harten Kern bildet die mit dem BITZCORE-Label (neben TURBONEGRO auch Turbo AC's, Peter Pan Speedrock, ZSK ...) verschwägerte TURBOJUGEND St.Pauli. Martialisch, arschfrech und zugleich peacig wurden Turbojugendliche auch schonmal als Saalschutz der jüngst im Umfeld der "TITANIC" gegründeten Partei "DIE PARTEI" gesehen.

Ein Leben ohne TURBONEGRO und die TURBOJUGEND ist zwar möglich - aber sinnlos

In diesem Sinne feierten am 22. und 23.April rund 1000 Jungs und Mädels in Denimblue sich und die Band, die laut T-Shirt schon manches Leben gerettet hat. Der Kiez Hamburg St.Pauli ist die geeignete Kulisse für dieses Event, "2.WELT-TURBOJUGEND-TAGE", zu dem auch Fans vom anderen Ende des Planeten angereist waren: Tokyo, Orange, Baltimore, Reading, Helsinki, Trondheim, Oulu, Winterthur, Kreuzberg, Potsdam, Münster, Haitabu, Bagdad, Zoo, Dellbrück, Astra, Wiesbaden, Wittenberg ... Jackennamen lesen macht Spaß und ist überaus kommunikativ.
Nachdem schon am Donnerstagabend ausgiebig Zeit zum Anstoßen, Kuscheln und Fotografieren in Kiez-Kaschemmen wie der Cobra Bar und Freds Schlemmereck gewesen war (die legendäre Scandia-Bar hat leider dichtgemacht), gings am Freitag abend im Grünspan weiter. Cooles Konzert, volles Haus, gute Stimmung: Hukedicht aus Winterthur (Ch), schöner Punk'n Roll, anschließend Aspen Grove aus Helsinki, fetziger Metalcore, und eine Version von TURBO's "HATE THE KIDS" - my generation sucks .... Dann betrat Hanno Hoffmann die Bühne, den manche vielleicht als BITZCOREs Mailorderman kennen. Er stellte sich als Hanks dickerer Bruder vor und präsentierte gemeinsam mit Aspen Grove eine geniale Version von TURBONEGROs Oldie "Time Bomb". In den Umbaupausen kreierte Mambo Kurt mit seiner Hammondorgel Schunkel- und Polonaiseorgien mit seiner akrobatischen und musikalisch genialen Interpretation von Slayer's Raining Blood und anderen Klassikern. Ein Jugendlicher aus Schweden fand immer wieder Gefallen an durchaus ästhetisch vorgetragenen Komplett-Striptease und versuchte sich auch als Mambo KURTs Muse. Als Headliner rockten die Turbo ACs, melodisch abgehender Rock'n Roll im Geschwindigkeitsrausch, immer wieder schön. Anschließend gings wieder auf die Meile, man fotografierte sich genüßlich gegenseitig mit blankgezogenen Ärschen und drängte sich in und vor kleinsten Läden wie dem King Calavera.
Für den Samstag war für Frühaufsteher schon für 15.00 Uhr eine Pre-Listening Party der neuen TURBONEGRO-Scheibe Party Animals im Kaiserkeller neben der Grossen Freiheit angesetzt. Zufällig posten kurz vorher im gegenüber liegenden Kirchhof TURBONEGRO für Pressefotografen, wann kriegt man die Jungs schon mal in voller Montur bei Tageslicht zu sehen? Das Konzert begann bereits um 19.00 - Hamburger Verhältnisse, der Laden wird hinterher noch als Disco genutzt. Peter Pan Speedrock macht den Support (wie dann auch auf weiteren Gigs der TURBONEGRO Tour, weil Mondo Generator absagten). Rock zwischen Hardcore und AC/DC, hart und schnell, einige Stücke Resurrection zum Mitgröhlen hitverdächtig.
TURBONEGRO beginnen mit dem neuen Intro Party Zone, Hubschrauberdröhnen plus strange Gitarrensounds, Vorfreude, und vor der Bühne wird's eng. Das Set etwas länger als sonst, Mix aus alten und neuen Songs, kickt ordentlich Arsch: All my Friends are dead, Dungaree High, Sell your Body, Rendevous with Anus, Blow me, Denim Demon, Darkness, City of Satan, Get it on, Wasted again, Ride with us, Fuck the World, Final Warning.
Mitgröhlen von der ersten bis zur letzten Zeile. Zur Zugabe kommt die Bande dann in dem guten alten Denim Outfit wieder: Pamparius, Selfdestrucot Bust, Prince of the Rodeo - und kein Turbo-Konzert ohne Erection. Komplett durchgeschwitzt dauert es eine Weile, bis sich die entknotet haben. Anschließend geht die internationale Party in einer Disco namens Bar weiter. Im Gegensatz zum letzten Jahr waren diesmal die Meister des DEATHPUNK kaum inmitten ihrer Fans zu sehen. Wahrscheinlich ist das Leben als Rockstar einfach sehr anstrengend, schon allein was die Erwartungen der Fans an gemeinsam getrunkene Biere und Schnäpse angeht. Und dann erst die zudringlichen Groupies beiderlei Geschlechts ...
Im Gewühl der Denim-Jacken lerne ich immer wieder lustige Leute kennen. Man kennt sich irgendwie über die Jacken oder auch über die Postings in dem TURBOJUGEND-Forum. Oder man war sich schon bei den ersten TURBOJUGEND-Tagen vor einem Jahr in Hamburg begegnet. Deren Highlights sind mittlerweile auch auf DVD veröffentlicht. Es spielten u.a. Silver, ZSK, Therapy? und die Adolescents, und die vier Turboneger Hank, HAppy Tom, Euroboy und Chris improvisierten vier Stücke, darunter ein grandios intensives Bloodstains (ursprünglich von Agent Orange). Viele der DUNGAREE HIGH - Adepten trafen sich auch einige Wochen später - im Juli 2004 in Loebnitz bei Leipzig - auf dem TURBOJUGEND-Camp auf dem With-Full-Force Festival wieder,.

ALL MY FRIENDS ARE ... PARTY ANIMALS
Da ein TURBONEGRO-Konzert niemals genug ist, hatte ich mir schon längst eine Karte für das Berlin-Konzert am 12.5. besorgt. Kurz vorher kam die neue Scheibe an - die in mir zunächst mehr Fragezeichen als gute Stimmung hinterlässt.
Party Animals - bombastische Sounds, sehr durchgefeilte Dramarturgie - und doch fehlt mir das entscheidende Quäntchen Friction und Herz. Der Spannungsbogen kippt oft da, wo ich mir die Zuspitzung ins sinnlich-orgiastische oder auch ins existenziell-verzweifelte geschwünscht hätte, ins Banale. Die Welt von TURBONEGRO bestand schon immer aus einem Universum von Anspielungen, deren Entschlüsselung einen einmal quer durch die Punk- und Rockgeschichte katapultiert. Dungaree High sozusagen. Die zusammengewilderten Bruchstücke wurden mit einer guten Portion Leidenschaft, Herz und Arschtritt zu etwas Genialem zusammengeschmolzen, dessen häufig absurde Widersprüchlichkeit und Hintergründigkeit einem auch beim x+x-ten mal Hören noch ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Diese subversive Brillianz ist leider auf Party Animals kaum zu finden. Jedes Stück ein Ohrwurm - aber als Aphrodisiakum geht die Scheibe vorerst nicht durch. Zeitweise läßt sie einen im schalen Mainstream-Regen stehen. Oder sind sie ihrer Zeit wieder mehr als einen Schritt voraus?
Berlin 12.5.2005, Huxleys (ex Neue Welt), Das Konzert ist dann doch wieder grandios, die Stücke, die auf PARTY ANIMALS etwas langsam daherkommen, funktionieren live durchaus. Obwohl ich mir statt "City of Satan" lieber zwei von den älteren oder ganz alten Stücken gewünscht hätte. Im Zugabenset gibts diesmal noch High on the Crime, das Stück für Diebe und Kaufhausdetektive. Nach Verklingen der folgenden ERECTION klingt aus dem Off ein südlicher Folkloresong, zu dem die Jungs auf der Bühne und dann auch das Publikum eingehakt das Tanzbein schwingt. Irgendwoher kenne ich das Stück: der Titelsong von "ALEXIS SORBAS" von MIKIS THEODORAKIS. Wer war das doch gleich? Die nächste Lektion von DUNGAREE HIGH, guck mal nach ...
Ich wollte Hank ja immer nochmal fragen, welche Art von Revolution er gemeint hat letztes Jahr bei Rock am Ring, als er vor "Ride with us" minutenlang das Publikum fragte "Are you ready for Revolution?" und die Massen begeistert "Yeah" antworteten. Aber vielleicht sollte man sich das lieber selber fragen, because "Darkness is just around the Corner" (Happy Tom).
Bleibt noch nachzutragen, daß TURBONEGRO und El Presidente ihren Fans noch eine ganz besondere Freude gemacht haben: kürzlich ist auf BITZCORE eine Doppel-CD mit umfangreichen und sehr schön gemachtem Booklet und Bonusmaterial erschienen: Small Feces. Darauf versammelt 42 Turbo-Oldies aus den Jahren 1989 - 1997. Coverversionen und eigene Stücke, die bisher niemand kannte, durchweg genial und strotzend vor Energie und Spielfreude. Wem die neuen Sachen zu glatt und over produced sind: dies ist Friction pur.
Text und Fotos: Uta